Der Ursprung der Straubinger Fußwallfahrt
Folgender Text ist wörtlich dem Pilgerbüchlein zur 50. Fußwallfahrt entnommen. Autor: Wolfgang Schaller, Prediger in St. Jakob Straubing aus dem Jahre 1930.

"Alljährlich in der Nacht von Freitag auf Pfingstsamstag um 12 Uhr (seit 1975 11 Uhr!) bricht von Straubing aus eine Gruppe von Wallfahrern aus Stadt und Land auf, um zu Fuß über Landau, Eggenfelden und Neuötting zu Unserer Lieben Frau nach Altötting zu wallen. In Eggenfelden wird übernachtet. Am Pfingstsonntag um ¾ 8 Uhr früh ziehen die Pilger in Altötting ein.

Diese Straubinger Fußwallfahrt war in ihren Anfängen die Erfüllung eines Gelübdes des Begründers dieser Wallfahrt, des städtischen Poliers und Hausverwalters Hans Rothmeier von Straubing, geb. 10. Juni 1858, gest. 2. Okt. 1916, der als junger Mensch mit 18 Jahren im Jahre 1876 in schwerer Krankheit eine alljährliche Fußwallfahrt nach Altötting gelobte.

Er hat sie vom Jahre 1881 an zeitlebens, solange ihn seine Füße trugen, getreulich gehalten, mit einigen guten Freunden, die sich ihm anschlossen, anfänglich ganz wenige, 5 bis 10, später 20 bis 30 und mehr. Seine alljährlichen Begleiter betrachteten es als ihre Ehre, die Fußwallfahrt über Rothmeiers Tod hinaus als alljährliches Herkommen aufrecht zu erhalten und sie gestaltete sich von Jahr zu Jahr feierlicher. Seit dem Jahre 1927 begleitet auch ein Priester die Wallfahrt. Bis zur 50. Jubelwallfahrt 1930 hat sie sich, zusammen mit vielen, welche per Bahn und Rad zu Pfingsten von Straubing nach Altötting fahren, allmählich entwickelt zu einer opferbereiten Huldigung der Liebe und Treue zur Gnadenmutter von Altötting.

Welches war der Anlaß zur Straubinger Fußwallfahrt an Pfingsten? Rothmeier Hans erzählt es uns selbst mit folgenden Worten:

"Als junger Mensch von 18 Jahren stand ich als Schreinergeselle in München in Arbeit. Einmal hatte ich mich stark erhitzt, setzte mich der Zugluft aus und bekam starke Rückenschmerzen. Tags darauf, mittags bei Essen, streckte es mich auf einmal, ich mußte aufstehen, meine Hände und Füße wurden ganz steif, von der Stirne lief mir dicker Schweiß. Doch der Anfall ging rasch vorüber, so daß ich nachmittags wieder in die Arbeit gehen konnte. Um zwei Uhr nachmittags streckte es mich neuerdings; ich befand mich an der Hobelbank und fiel, da mich niemand hielt, zu Boden. Ein Sandführer, welcher gerade vor dem Hause Sand ablud, fuhr mich zu meiner Schwester, wo ich acht Tage zubrachte und mich ein zweites Mal schröpfen ließ; da ich aber immer elender wurde, kam ich schließlich ins Krankenhaus. Dort angekommen, sagte mir eine Schwester sofort: "Sie hätten auch nicht mehr länger warten können; Sie haben ja den Starrkrampf." Man brachte mich rasch zu Bette, es kam der Krankenhauskurat (der nachmalige in Straubing wohlbekannte K. Anstaltspfarrer K. Geistl. Rat Schneeweiß), hörte meine Beichte und spendete mir die hl. Sterbesakramente.

Hans Rothmeier

Mir wollte zwar das alles nicht recht einleuchten, weil ich mich nicht für so schwer krank hielt, ließ es aber gerne geschehen. Dann kam der Arzt, untersuchte mich und ließ mir am Nacken links und rechts vom Rückgrad je sechs Schröpfköpfe aufsetzen. Als dies geschehen war, richtete man mich wieder im Bette zurecht, und ungefähr fünf Minuten später wurde ich am Körper starr. Meine Augen standen offen, ich konnte sie nicht mehr schließen, ich konnte nicht mehr die geringste Bewegung machen, ich war unfähig zu sprechen. Ich sah aber alles, was um mich vorging, hörte jedes Wort, das in meiner Nähe gesprochen wurde. Man legte Senfteig auf den Rücken, setzte mir wieder, und zwar zweimal hintereinander, je zwölf Schröpfköpfe an, aber es nutzte nichts: ich blieb steif. Am dritten Tage machte man den Versuch, mir Milch einzuflößen, doch umsonst, ich konnte nicht schlucken. Hier bemerke ich, daß ich während meines traurigen Zustandes, welcher, wie schon angedeutet, volle acht Tage währte, auch nicht den geringsten Hunger verspürte.

Am vierten Tage mittags erklärte mich der Arzt als tot und wollte mich in die Totenkammer schaffen lassen. Als ich das hörte, erschrak ich begreiflicherweise entsetzlich. Ich nahm nun meine Zuflucht zur lieben Mutter Gottes von Altötting und machte das Gelübde, alljährlich nach Altötting zu wallfahren, wenn ich nicht lebendig begraben würde. Nachmittags drei Uhr kamen zwei Hausknechte des Krankenhauses mit einer Tragbahre, welche mich wirklich in die Totenkammer schaffen wollten. Der eine ergriff mich bei den Füßen, der andere am Oberkörper; dieser letztere schaute mir aufmerksam in die Augen, und da gelang es mir, ein Augenlid ein wenig zu bewegen. Dies bemerkte, Gott sei Dank! der Hausknecht und sprach: "Halt, den lassen wir liegen, der hat ein Auge gerührt!" Über eine Weile kamen diese beiden wieder mit ihrer schrecklichen Bahre, diesmal in Begleitung des Arztes. Der Arzt befahl ihnen, mich wegzuschaffen, allein einer antwortete, er tue das nicht, denn er habe bestimmt gesehen, daß ich ein Auge bewegt habe. Der Arzt untersuchte mich wieder, blies mir in die Augen kurz, er versuchte alles, um neuerdings eine Bewegung der Augen hervorzurufen. Doch vergebens. Ich konnte das nicht mehr. Der Arzt erklärte mich wiederholt für tot und wollte mich um jeden Preis wegschaffen lassen. Da legten sich die Krankenschwestern ins Mittel und baten den Arzt, er soll mich noch die nächste Nacht im Krankenhaus liegen lassen. Diese Krankenschwestern waren meine rettenden Engel.

Sie schickten um einen andern Arzt, welcher als Geheimrat tituliert wurde. Derselbe kam, blieb mir gegenüber stehen, schaute mich an, schüttelte anfangs den Kopf, untersuchte mich dann vom Kopf bis zu den Füßen, zog schließlich ein Instrument heraus, das er an mein Herz setzte und an dessen oberer Öffnung er horchte. Endlich sagte er, und das war mir wie eine Erlösung von einem schrecklichen Lose: "Der Tischler bleibt hier liegen; behandeln wird ihn niemand als ich." Nun wurde ich zwei Tage hintereinander öfters in ein warmes Bad gestellt und dann im Bette auf dem Rücken mit Flanellumpen frottiert. Am achten Tage abends kam wieder Leben in meine Glieder, es riß mich am ganzen Körper, wiederholt kam ich halb außerhalb des Bettes zu liegen, so daß links und rechts ein Gitter gesetzt werden mußte, um ein gänzliches Hinausfallen zu verhindern. Das dauerte ungefähr vier Stunden. Der Herr Geheimrat, welcher herbeigeholt wurde, sagte erfreut: "Jetzt hab ich wieder Hoffnung." Dann lag ich ganz ruhig da, bis 4 Uhr früh des neunten Tages. Gerade als man den Tag anläutete, setzte ich mich auf. Die Krankenschwester lief davon, ob aus Schrecken oder darum, weil sie die übrigen Schwestern herbeirufen wollte, weiß ich nicht. Bald kamen wenigstens sechs Schwestern daher, freuten sich meiner Genesung und sagten: "Nun laßt uns Gott danken!" Sie knieten nieder und beteten den engelischen Gruß, und ich mit. Wohl noch nie habe ich den "Engel des Herrn" so andächtig gebetet wie in jener Stunde. Ich war gerettet.

Nach ungefähr vier Wochen verließ ich das Krankenhaus. Zu meinem Erstaunen händigte man mir beim Abschied einen Betrag von ca. 30 Mark aus. Auf mein Befragen, woher dieses Geld denn komme, sagte man mir: "Dies ist das Geld, welches vor fünf Wochen Ihre Eltern aus Straubing geschickt haben für Ihre Beerdigung." Noch am selben Tage fuhr ich nach Hause. Nachts um 1 ¼ Uhr klopfte ich an die Haustür. Ich glaubte natürlich, daß meine Eltern von meiner Wiedergenesung bereits erfahrne haben. Sie wußten aber nichts davon, sondern glaubten mich längst begraben auf dem Münchner Friedhofe. Als auf mein Klopfen niemand öffnete, rief ich meine Eltern an; ich hörte darauf, wie die Mutter erschrocken zum Vater sagte: "Das ist jetzt grad a Stimm', wie wenn's der Bua wär." Endlich öffnete der Vater und er, der sich in seinem Leben vor nichts fürchtete, stand leichenblaß vor mir. Ich sagte nichts als: "Grüß Gott, Vater! Morgen erzähl' ich Euch alles." Dann ging ich schweigend in meine Kammer.

Mein Gelübde aber, das ich sozusagen vor dem Sarge machte, in den ich ohne die Fürbitte Mariä gelegt worden wäre, dieses Gelübde werde ich halten, solange als meine Kräfte es mir erlauben. Und die Pfingstsonntage in Altötting zähle ich zu den schönsten meines Lebens."

Ist das nicht ergreifend? Sind das nicht Worte aus goldenem Herzen? Glühend aus Dankbarkeit und von Liebe zur Gottesmutter? Macht dies Geschehnis nicht die Wallfahrt ganz besonders ehrwürdig und heilig?

Man muß es aber auch sagen: Jeder Teilnehmer ist jedes Mal tiefergriffen, tiefbewegt. In Landau ist, nach sechsstündigem Beten und Singen von Straubing her, in der Spitalkirche die erste Pilgermesse für die Anliegen der Pilger. Bei viermaliger Rast und Stärkung in Landau, Haunersdorf, Malgersdorf und Falkenberg marschieren die Leute, fast ständig betend oder singend, von Landau in acht Stunden bis Eggenfelden. Ankunft dortselbst abends 17 Uhr. Am Sonntag früh 1 Uhr wallen sie wieder weiter mit einmaliger Rast und Stärkung in Reischach, über den Himmelsberg zum Heiligtum. Bei der erstmaligen Begrüßung von Altötting vom Himmelsberg aus fließen die Tränen der Rührung und Dankbarkeit. Nach einundzwanzigstündiger Wanderung, auf der mancher tiefer Seufzer aus mancher Brust und mancher Blutstropfen aus mancher Zehe quillt, marschiert die mutige Schar der Gnadenkapelle zu, Tränen der Freude im Auge. Nach Begrüßung der Gnadenmutter vor der Gnadenkapelle ist hl. Messe in der alten St. Annakirche. Die übrige Zeit des Pfingstsonntags benützen die Pilger zum Besuch der Gnadenmutter, um zu beten, wie man in der Heimat nicht beten kann, wie eben nur das Kind vor der Gnadenmutter beten kann. Nachmittags ist Beichte; abends, gemeinsam mit einem gleichzeitigen Freisinger Pilgerzug große Lichterprozession. Am Pfingstmontag früh 6 Uhr in der alten St. Annakirche hl. Messe mit Generalkommunion: der Höhepunkt der Wallfahrt. Wen müsste dabei nicht das Herz warm werden! Um ¾ 9 Uhr vormittags versammeln sich die Pilger vor der Gnadenkapelle zum Abschiedsgebet und zu vielen Abschiedstränen. Dann geht der Zug zum Bahnhof Altötting. Die Heimkehr erfolgt also am Pfingstmontag per Bahn über Landau, auch zumeist wieder betend.

Wer eine wirkliche Wallfahrt im alten Sinne des Wortes machen will und kann, mache die Straubinger Fußwallfahrt zu Pfingsten mit, er wird es erfahren, daß auf große Opfern großer Segen liegt! Ave Maria!"

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